Erklärung der Richtlinien - Haus der Religion in Stuttgart

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Erklärung der Richtlinien


Diese Richtlinien für den Interreligiösen / Interkulturellen Dialog, in 1994 entstanden und zum vorliegenden Text weiterentwickelt, werden wahrscheinlich von vielen als Wunschtraum beurteilt werden. Träume gehören jedoch zum Wesen des Fortschritts der menschlichen Zivilisation und Gesellschaft. Träume sind die Quelle von Entwicklung und Fortschritt. Damit diese Träume verwirklicht werden können, müssen sie in einem Wertsystem verankert sein, das u.a. davon ausgeht, dass

  • alle Menschen in ihren Rechten und Pflichten gleich sind;     

  • das menschliche Glück in der Liebe und in der Rückkehr zur göttlichen Wirklichkeit durch diese Liebe liegt;

  • Konfrontation durch Zusammenarbeit in gegenseitigem Respekt ersetzt werden soll;

  • die Unterstützung von Erziehung und Wissenschaft das grundlegende Ziel aller Entwicklungshilfe sein muss;

  • jeder Krieg und jeder Akt der Gewalt ein Verlust für alle ist;

  • die Einschränkung von Produktion, Weitergabe und Besitz von Waffen der kürzeste Weg zum Frieden ist;

  • neben der eigenen Muttersprache eine gemeinsame universelle Sprache als notwendiger Träger für eine reibungslose weltweite Kommunikation gefördert werden soll;

  • wirkliche menschliche Freiheit besteht im Besitz der inneren Fähigkeit zu tun, was allgemein als recht gilt, und zu unterlassen, was allgemein als unrecht gilt.      

  • interkultureller und interreligiöser Dialog führt zu einer sich gegenseitig bereichernden Vereinigung und wird auf die Dauer zu einer universelleren Homogenität und einer endgültigen globalen Einheit führen.  

  • die Schätze unseres Planeten (Öl, Gas, Mineralien usw.) als Eigentum der ganzen Menschheit zu betrachten sind und nicht das alleinige Eigentum von Nationen sein sollen, die zufälligerweise geografisch über oder in der Nähe einiger dieser Schätze liegen. Es sollte von der Nationen, die von diesen Schätzen profitieren, eine  Steuer erhoben werden und zum allgemeinen Wohl der Menschheit benutzt werden.


Auf der Grundlage dieser Werte wollen diese Richtlinien eine Grundlage zur gegenseiten Anerkennung und Zusammenarbeit zwischen den Weltglaubensgemeinschaften: Christentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus, Bahaismus usw., den geistlichen Bewegungen, Humanisten und anderen Überzeugungen sein. Ihre sieben Paragrafen beschränken sich auf diejenigen Forderungen, die als wesentlich zur Erreichung des angestrebten Ziels 'Friede und Gerechtigkeit auf Erden für alle Menschen guten Willens' angesehen werden können. Anmerkungen und Ratschläge vieler Leser haben über einen Zeitraum von fünf Jahren zu verschiedenen Anpassungen geführt, wobei die ursprünglichen Vorstellungen erhalten blieben.

1)  WIR GLAUBEN, dass ein echter Dialog nicht auf Grund blosser Toleranz, sondern nur  durch die Akzeptanz der anderen in ihrer typischen Individualität und im gegenseitigen Respekt möglich ist. Dazu ist die Kenntnis der anderen mit ihrem kulturellen Hintergrund eine wesentliche Bedingung. Mit der Anerkennung und Akzeptanz der Verschiedenartigkeit auf sozialer, kultureller und religiöser Ebene werden Austausch gegenseitiger Werte und Gemeinsamkeit im Handeln schliesslich zur endgültigen Einheit der Menschheit  führen.

Ein echter Dialog ist nur möglich, wenn Kenntnis und Akzeptanz der kulturellen und religiösen Werte  auf beiden Seiten gegeben ist. Rassismus kann man als Intoleranz und Nicht-Akzeptanz anderer Kulturen und ihrer Menschen beschreiben, wobei Unwissenheit die wichtigste Ursache ist. Alle Rassismusgegner werben um Toleranz. Toleranz ist ein Wort, das in den letzten Jahren bei fast allen interreligiösen und interkulturellen Anlässen, bei Versammlungen, in den Medien und im üblichen Reden der Leute als empfehlenswertes Verhalten für ökumenische und interkulturelle und interreligiöse Begegnungen allgemein verwendet wurde. Allerdings beinhaltet das Wort selbst eine Diskriminierung, weil man etwas toleriert, das es eigentlich lieber nicht geben sollte.

Toleranz kann nicht die Grundlage eines echten Dialogs sein und sollte durch Akzeptanz der anderen im Respekt vor den ihrer Kultur, ihrer Religion und ihren spezifischen Sitten eigenen Werten ersetzt werden. Andere  zu akzeptieren muss mehr bedeuten, als sie nur zu ertragen. Es sollte bedeuten, sie als Mitglieder der eigenen Gesellschaft zu akzeptieren, ohne dass sie zwangsläufig die eigene Identität verlieren.

Die gegenseitige Akzeptanz sollte zu einer Integration der Werte beider Seiten in eine kulturell reichere Gemeinschaft führen. Dort, wo Respekt herrscht, wird auch der Wille und die Bereitschaft bestehen, sogar einige dieser Werte zu übernehmen und sie als Bereicherung der eigenen religiösen und kulturellen Werte in die eigene Lebensweise zu integrieren. Dieses respektvolle Verhalten gegenüber den anderen ist ohne eine gewisse Kenntnis der anderen, ihrer Geschichte, ihrer historischen und kulturellen Entwicklung und ihrer Lebensweisen selbstverständlich nicht möglich. Die Ausbreitung der Kommunikationsmittel, die Verfügbarkeit von Büchern über andere Kulturen und Religionen, die zunehmende Zahl von Artikeln über kulturelle und religiöse Themen haben in den letzten zwanzig Jahren zur Zunahme einer solchen Kenntnis beigetragen und interkulturelle Treffen weltweit in beachtlicher Weise gefördert.

Diese Haltung der Akzeptanz der anderen in gegenseitigem Respekt wird zur Haltung von immer mehr religiösen Führern. Und um zu zeigen, dass sogar in meiner katholischen Kirche, obwohl für sie die Zeit noch nicht reif ist, diese 7 Thesen öffentlich zu unterstützen, von der Basis bis zur höchsten Ebene im Vatikan bemerkenswerte Änderungen stattfinden, zitiere ich die Worte, die Papst Johannes Paul II. anläßlich des Interreligiösen Abendgebets für den Frieden in Assisi am 9. Januar 1993 gesprochen hat: '...nur in der gegenseitigen Annahme des anderen und in dem sich daraus ergebenden, durch Liebe vertieften, gegenseitigen Respekt liegt das Geheimnis einer endgültig versöhnten Menschheit... Wir wollen den Kriegen und Konflikten in Demut, jedoch mit Nachdruck Widerstand leisten und dabei unsere  Harmonie , welche die Identität jedes einzelnen respektiert, sichtbar machen.'

Die Überfülle an Büchern über die islamisch-arabische Welt und über den Buddhismus in den letzten Jahren in Europa und den Vereinigten Staaten ist eine sehr vorteilhafte Entwicklung zur Förderung des notwendigen Wissens über diese anderen Welten, die den meisten Menschen ausserhalb der islamischen und buddhistischen Welt noch nicht genügend bekannt sind. Die zahlreichen Zen-meditationssitzungen, die in vielen europäischen Klöstern regelmässig stattfinden, und die mehr als 250 buddhistischen Gesellschaften allein im Vereinigten Königreich zeugen vom wachsenden Interesse  am buddhistischen Glauben und seinen Glaubens- und Gebetspraktiken. Die wachsende Kenntnis und Akzeptanz der Werte anderer Kulturen, Religionen und Glaubensüberlieferungen werden schliesslich zur endgültigen Einheit der Menschheit als Kinder der gleichen Mutter-Erde führen.

2) WIR GLAUBEN, dass wir als menschliche Wesen gemeinsam mit der ganzen Natur und allen Lebewesen aktiv an einem ständigen Wachstumsprozeß beteiligt sind, der sich zu einer besseren Welt in einer immer höheren intellektuellen und spirituellen Umgebung entwickelt (Teilhard de Chardin). Von dieser optimistischen Lebenssicht aus und im Rahmen unserer neuen Welt der globalen, grenzüberschreitenden Kommunikation müsste das Bewusstsein, dass alle Menschen durch ihren gemeinsamen Ursprung und ihre gemeinsame Bestimmung zur gleichen Familie gehören, zu einer grösseren universellen Verantwortung aller führen, um dies in die Praxis des täglichen Leben umzusetzen.

Das Träumen von der Zukunft zeugt von einem Optimismus, der an ein Wachstum auf eine stets bessere Welt hin glaubt. Die fünf Bände von Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), dem Jesuiten, Geologen und Paläontologen, - Le Phénomène Humain, L'Apparition de l'Homme, La Vision du Passé, Le Milieu Divin, L'Avenir de l'Homme -, haben uns die Vision einer hoffnungsvollen Erwartung und Zuversicht auf die langsame, aber sichere Spiritualisierung der Menschheit in ihrem jahrhundertelangen Wachstum gebracht.

Alvin Toffler beschreibt in seinem Buch Power Shift (1990) die Entwicklung der Kommunikations- verbindungen von einem intra-intelligenten und extra-intelligenten System zu einem elektronischen Nerven-Netzwerk als ein immer dichter werdendes Netz rund um unsere Erde. Beide Wissenschaftler, jeder auf seine Weise, sehen die Zukunft der Welt in einer wachsenden Werteverschiebung vom Materiellen zum Spirituellen, wobei der menschliche Geist eine stets grössere Rolle spielt. Es versteht sich von selbst, dass in diesem Wachstumsprozeß nicht nur den christlichen Kirchen, aus denen diese Vision hervorgegangen ist, sondern auch den anderen Weltreligionen eine entscheidend wichtige Rolle zukommt. Dieser Wachstumsprozess vollzieht sich nicht nur in und durch  Menschen. Alles, was auf Erden lebt und sich bewegt, ist in diesen Aufstieg zu einer höheren Vergeistigung, zu einer einenden Annäherung an das göttliche Mysterium, der Grundlage von allem, was ist, mit einbezogen.

Das 10-seitige Dokument des Dalaï Lama 'Die globale Gemeinschaft und die Notwendigkeit einer universellen Verantwortung' aus dem Jahr 1992 bleibt höchst gültig, indem es die Aufmerksamkeit aller auf verantwortlichere Einstellungen und eine verantwortungsvollere Lebensweise seitens aller Mitglieder der einen menschlichen Familie lenkt. Eine besonders wichtige und neue Entwicklung ist, dass dies nun auch allmählich von Politikern in Europa, innerhalb der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, als auch in den Vereinigten Staaten eingesehen wird.

Der Glaube an das ständige Wachsen der Menschheit von einer animalisch inspirierten Lebensweise in den ersten Tausenden von Jahrhunderten zu einer mehr spirituellen Inspiration ist ein wesentlicher Bestandteil einer optimistischen Sicht der Entwicklung des Menschen im Laufe seiner Geschichte. In den alten Zeiten und sogar bis zum Anfang unserer christlichen Zeit stand nur wenigen Privilegierten  das allgemeine Wissen ihrer Zeit zur Verfügung. Während eines Zeitraums von zwanzig Jahrhunderten, einem relativ kurzen Zeitraum in der Geschichte des Menschen auf der Erde, wurden die allgemeinen Kenntnisse der Zeit allmählich allen Bürgern eigen. Diese Kenntnisse haben, wie vieles andere, zu schnellen Veränderungen unserer Gesellschaften geführt und in den letzten 50 Jahren eine vor hundert Jahren noch unvorhersehbare Ausbreitung erfahren. Es ist heute allgemein bekannt, dass sich dieses Wachstum in den kommenden Jahren noch schneller entwickeln wird. Dieses Wachstum an Wissen  hat zu völlig verschiedenen Lebensweisen geführt -von den feudalen Gesellschaften des Mittelalters zu unseren modernen demokratischen Systemen von Regierung, freiem Handel und freiem Verkehr - mit einem stets höheren intellektuellen Erbe, das von einer Generation zur anderen weiterging. In den alten Zeiten gab es nur wenige Grundbesitzer, während das gewöhnliche Volk als Untertan mit seiner Hände Arbeit den Wohlstand der Besitzer zu erhalten hatte. Der gemeinsame Wohlstand ist heute, zumindest in den meisten der demokratischen Staaten des Westens und in Japan, unter beinahe allen Bürgern auf relativ ausgeglichene und sich verbessernde Weise aufgeteilt. Es ist unbestreitbar, dass, allgemein gesprochen, das Leben der Menschen unserer Zeit ein höheres intellektuelles und damit auch menschlicheres Niveau hat als in den vergangenen Jahrhunderten. Das bemerkenswerte Zunehmen kultureller Aktivitäten und des Interesses für diese Aktivitäten in den meisten Ländern ist sicher ein Zeichen dieser höheren alltäglichen Lebensqualität. Ebenso hat die Gesamtheit der relativ jungen weltweiten Entwicklungen des Transportwesens und anderer Kommunikationsmittel automatisch zu einem unglaublichen Zunehmen der Geschäfts- als auch der Vergnügungsreisen, der Ein- und auswanderungs-bewegungen von Millionen von Menschen, wozu bedauerlicherweise auch einheimische Revolutionen und Kriege zwischen Ländern ihren Teil beigetragen haben, geführt.

Millionen Menschen sind auf diese Weise mit fremden Kulturen und Religionen in Berührung gekommen. Das ist ebenfalls eine unumkehrbare Entwicklung und nur erst der Beginn der multikulturellen und multipluralen Welt von morgen, die viel schneller als normalerweise vermutet, Wirklichkeit werden wird. In Europa sind, trotz der unterschiedlichen Sprachen, bereits die Grenzen zwischen den Ländern der Europäischen Gemeinschaft abgeschafft. Als ganz normale Folge werden die Länder als geographische und politische Einheiten schnell an Bedeutung verlieren, während die sprachlichen Regionen als neue Einheiten im Europa von morgen mehr und mehr Gewicht gewinnen. Das hatten die Führer der indischen Regierung  gut verstanden, als sie beschlossen, die Staatengrenzen auf der Grundlage der regionalen Sprache zu ziehen, was vielleicht in diesem Massstab einmalig in der Welt ist.

Ein sehr wichtiger Punkt im Zusammenhang mit dem interreligiösen und interkulturellen Dialog besteht darin, dass es parallel zum globalen Trend zur Vereinheitlichung eine starke Tendenz gibt, die Identität von Gemeinschaften, die der gleichen Kultur und Sprache zugehören, und die Bewahrung dieser Identität zu betonen. Diese Entwicklung zur Vereinheitlichung und Homogenität einerseits und  zum Schutz der eigenen kulturellen Identität andererseits ist eine Entwicklung, die Diskussionsgegenstand aller politischen Führer ist und mehr denn je werden wird, zuallererst in Europa und den Vereinigten Staaten, aber selbstverständlich auch weltweit bei allen, die in interreligiösen Bewegungen aktiv sind. Regierungen von Ländern, die Probleme mit separatistischen Bewegungen haben, sollten sich dieses weltlweiten Trends bewußt sein und versuchen, Lösungen nicht in der Abtrennung, sondern in der Zusammenarbeit auf dem Weg nach Lösungen in der Form des föderalen Staates zu finden.

Jacques Delors, der ehemalige Vorsitzende der Kommission der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, hat innerhalb der Kommission eine "Forward Studies Unit" zur Untersuchung der ethischen Dimensionen der Europäischen Gemeinschaft eingerichtet. Diese Unit hat bereits einige interreligiöse Symposien organisiert, nämlich eins 1995 in Toledo, eins 1996 in Florenz, eins 1999 in Brüssel, zu dem auch Bischof William Swing eingeladen war, um über die 'Initiative der Vereinten Religionen' (United Religions Initiative) zu sprechen, und wieErklärung der Richtliniender 2000 in Brüssel .

Diese Forward Studies Unit hat auch einige sehr interessante Berichte und Dokumente über das Verhältnis zwischen Religion und  Politik und über Möglichkeiten, zu einer Zusammenarbeit zu gelangen,  erstellt.  In diesem Rahmen bin ich der Auffassung, dass die Europäische Gemeinschaft als ein Vorläufer in diesem Bereich betrachtet werden kann, und wir wollen hoffen, dass dieses Beispiel von vielen anderen Regierungen nachgeahmt wird.

3) WIR GLAUBEN, dass zur Schaffung einer besseren Weltordnung in Frieden und Gerechtigkeit vor allem die Führer der Weltreligionen, traditionellen Überlieferungen und anderen Überzeugungen, in welcher Form auch immer sie organisiert sein mögen, eine inspirierende Aufgabe zu erfüllen haben. Ihre Kirchen, Organisationen und Einrichtungen sind in ihrer kulturellen und philosophischen Traditionen die vorzüglichst geeigneten Institute für die Verkündigung und Aufrechterhaltung  allgemein anerkannter moralischer Prinzipien.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es die Hoffnung und  Erwartung, dass der Mensch aus den Traumata dieses Krieges jetzt endlich die nötigen Lehren ziehen würde. Der Traum einer Welt in Frieden war vorhanden. Erneut waren unsere Weltpolitiker nicht imstande, diese Erwartung zu verwirklichen. Und dennoch fahren wir fort zu glauben, dass dieser Traum irgendwie und irgendwann einmal wahr wird. Dabei können, langfristig betrachtet, die Weltreligionen ihre wichtige Aufgabe erfüllen, vorausgesetzt, sie kommen zum Dialog und zur Zusammenarbeit in einem weltweiten Massstab. Es ist die Aufgabe der Päpste, Patriarchen, Bischöfe, Priester und Minister, der Imam, Guru, Geshe, Rishi, Ripotche, Lama oder welches ihre Namen  auch immer sein mögen, kurz: der Führer der Glaubensgemeinschaften, die wesentlichen Glaubenselemente ihrer Gründer zu betonen und darin die notwendige Grundlage zur Einheit in Verschiedenheit und Zusammenarbeit zu finden. Diese Zusammenarbeit müsste sich in der autoritativen Stimme einer globalen, supranationalen Dachorganisation manifestieren, z.B. in einer Art 'Vereinte Religionen' (United Religions), wie etwa  1995 vom episkopalen Bischof W. Swing aus San Francisco vorgeschlagen wurde, oder einer 'Organisation der Vereinten Traditionen' (Organisation des Traditions Unies), wie 1997 vom Tibetanisch-Buddhistischen Zentrum in Frankreich, dem Karma Ling Institut, vorgeschlagen wurde. Diese jungen Organisationen könnten zum Brückenkopf für die Weltglaubens- gemeinschaften werden, um eine globale Ethik zu unterstützen und effektiv zu einer neuen Weltordnung beizutragen, in der das menschliche Individuum in seiner sozialen und geistlichen Dimension im Mittelpunkt steht.

Es gibt in der individualistischen Welt des Westens eine zunehmende Tendenz, durch die das Individuum in den Vordergrund gestellt wird, um in moralischen Angelegenheiten aufgrund seines individuellen Gewissens Entscheidungen zu treffen. Dies drückt sich  in der Anziehungskraft von  Bewegungen wie New Age und den unzähligen neuen religiösen Sekten aus, die um neue Anhänger kämpfen auch in den Ländern, wo noch Armut und Elend herrscht, wie in manchen südamerikanischen und afrikanischen Ländern. Viele tiefgläubige Mitglieder der katholischen und anderer christlichen Kirchen haben den Glauben an ihre Kirche als Institution verloren. Das ist meiner persönlichen Meinung nach ein gefährlicher Trend, der grossenteils auf die Schwerfälligkeit zurückzuführen ist, mit der die höchsten kirchlichen Autoritäten auf die Bedürfnisse und die Trends der Zeit, des Fortschritts in der Wissenschaft, im Studium der Heiligen Schrift, im neuen Verständnis von der Enstehungsgeschichte der biblischen und anderer alten religiösen Schriften reagieren. Man kann es auch als eine normale Entwicklung des allgemeinen Trends zu selbständigerem Denken und Verhalten aufgrund der eigenen individuellen Intelligenz und des eigenen Gewissens erklären. Da der Mann/die Frau auf dieser Erde stets Mann/Frau mit seinen/ihren guten und schlechten Seiten bleiben wird, ist es verständlich, dass ein Beistand von oben ein wesentlicher und unersetzbarer Bestandteil im moralischen Verhalten der Menschen im allgemeinen bleiben wird.

Es ist ebenfalls klar, dass es ausserhalb der Weltreligionen als Institutionen nichts gibt, was heute diese Organisationen ersetzen könnte. Im Gegenteil, die Weltreligionen als Institutionen sollten sich, in Anlehnung an die jüngsten Aussagen von freidenkenden Humanisten, in einem globalen Massstab zu  einer Union der Zusammenarbeit vereinen, um die Effektivität ihrer moralischen und ethischen Führung nicht nur in persönlichen Angelegenheiten, sondern auch in Weltangelegenheiten zu fördern Das ist noch ein Traum und dazu ein äusserst schwer zu verwirklichender Traum, was aber wie auch immer das Endziel aller interreligiösen Dialogbewegungen sein könnte und sollte. Diese Art globaler Träume wird ohne Zweifel die begeisterte Unterstützung der jungen Leute auf der ganzen Welt erhalten, die auf der Suche nach einer neuen ethischen Basis für ihr Leben sind. Die ethische Grundlage für eine solche Union in der Zusammenarbeit ist in der globalen ethischen Erklärung des katholischen Theologen Hans Küng und seines Kollegen Josef Kuschel aus Deutschland verfügbar. Nach heftigen Diskussionen wurde diese globale Ethik mit Begeisterung aufgenommen, versuchsweise gebilligt und 1993 in Chicago anläßlich der Versammlung des Parlaments der Religionen der Welt, an der 7000 geistliche und religiöse Persönlichkeiten von allen Galubensgemeinschaften teilnahmen, öffentlich verkündet.  Ihre Hauptideen wurden in folgenden drei Schlagworten zusammengefasst :

  • Kein menschliches Leben ohne eine Weltethik für die Nationen;

  • Kein Friede zwischen den Nationen ohne Frieden zwischen den Religionen;

  • Kein Friede zwischen den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen.



Ein zweites wichtiges ethisches Dokument ist die Universelle Erklärung der Menschlichen Verantwortung, die am 1. September 1997 vom Interaktionskonzil in Tokyo der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, unterstützt von Senior-Staatsmännern 28 verschiedener Länder, unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Kanzlers Helmut Schmidt. Diese Erklärung kann als Ausfluss der japanischen und östlichen Lebensweise betrachtet werden; sie reflektiert die kulturellen Werte östlicher Zivilisationen und gibt Verantwortung und Pflichten Priorität über Rechte. Sie bedeutet auch eine höchst angebrachte Ergänzung der Universellen Erklärung der Menschenrechte. Diese beiden Dokumente verdienen es eindeutig, zentraler Drehpunkt im Entwurf der geplanten Organisation der Vereinten Religionen zu werden.

Nachdem ich zahlreiche Bücher, Zeitschriften und Veröffentlichungen bezüglich des interreligiösen Dialogs gelesen und an vielen interreligiösen Versammlungen und Symposien teilgenommen habe, ist mir aus all dem klar geworden, dass es viele Wege zum interreligiösen Dialog gibt, wobei diese Wege hauptsächlich aus akademischen Seminaren und Gebetsversammlungen bestanden haben. Als Laie und Geschäftsmann ist mir aufgefallen, dass die Teilnehmer an diesen Versammlungen fast ausschliesslich Akademiker und religiöse und geistliche Führer waren, während die an der Basis tätigen gewöhnlichen Laien wie ich eine wirkliche Seltenheit und Ausnahme darstellten. Ein anderer PErklärung der Richtlinienunkt, über den ich mich wundere, ist, warum man sich nicht mehr bemüht, diese Aktivitäten der grossen Öffentlickeit bekannt zu machen. Darin liegt wahrscheinlich einer der Gründe, warum so wenig Laien daran teilnehmen, obwohl ich annehme, dass viele von der aktiven Basis, Männer und Frauen, die einen wertvollen Teil ihrer Zeit der Pfarreiarbeit und anderen sozialen Tätigkeiten widmen, bereit wären, sich in dieser überaus wichtigen Dialogaufgabe zu engagieren und aktiv an den interreligiösen Dialogtreffen teilzunehmen. Ich denke hier an die tausenden sozial engagierten Menschen in all den Religionen, an die Freiwilligen in den zahlreichen Hilfsprojekten in den ärmeren Entwicklungsländern, an all die religiös gesinnten Personen, die in Indien und anderen südost- asiatischen Ländern das Jain-Motto 'Ahimsa paramo dharma' - Gewaltlosigkeit ist die höchste religiöse Pflicht- in die Praxis umgesetzt haben, wie z.B. Mahatma Ghandi und sein Schüler Vinoba Bhave mit ihrem 'swadeshi'-Konzept, Vivekananda und seine Rama-Krishna Mission in Indien, Sheikh Mujibur Rahman in Pakistan, Maha Ghosananda in Myanmar, Khan Abdul Ghaffar Khan in Bangladesh, der Dalaï Lama und viele tibetanischen Mönche, die heute über die ganze Welt zerstreut sind, und noch viele andere.

4) WIR GLAUBEN, dass die Grundsätze aller Weltglaubensgemeinschaften ihre Wurzeln in der Kultur haben, aus der sie entstanden sind, dass sie sich auf der Basis der philosophischen und moralischen Konzepte dieser Kultur entwickelt haben und dass sie sich in vorläufigen Ausdrücken und in Zeremonien, die der Kultur, zu der sie gehören, eigen sind, dem Glauben angenähert und ihn verkündet haben. Als Pilger auf dem Weg zu immer neuen Entdeckungen und dem Wandel unterworfen sollte kein Vertreter irgendwelcher Religion oder Glaubenstradition den ausschliesslichen Besitz der Wahrheit oder Überlegenheit über andere beanspruchen.

Diese Position wird von Bibel- und Koranexegeten und von vielen christlichen und islamischen Theologen mehr und mehr akzeptiert und gefordert. Es gilt heute als unmittelbar einsichtig, dass die Formulierung einer göttlichen Offenbarung zu einem Grossteil von der Kultur beeinflusst ist, in der sie entstanden ist, und dass diese Darstellungsform nicht die Offenbarung selbst ist. Diese Darstellungen und Deutungen müssen entsprechend dem sich stets ändernden Wissen und der stets höheren Bewusstseinstufe der Gläubigen einem beständigen Wandel unterliegen, ohne dadurch die wesentlichen Glaubenselemente zu ändern. Die Umwälzung in der biblischen Exegese von der buchstäblichen Interpretation zu einer beschreibenden und erzählenden kulturbezogenen Interpretation ist vor allem in der christlichen Theologie die wertvollste Entwicklung und der wichtigste Fortschritt der letzten 50 Jahre auf dem Weg zum interreligiösen Dialog und zur wirklichen Inkulturation. Die Änderungen in der Liturgie der katholischen Eucharistiefeier, wobei u.a. die lateinische Sprache durch die örtliche Volkssprache ersetzt wurde, sind bedeutende Schritte in dieser Entwicklung. Bedauerlicherweise war dies oft mit dem Verschwinden der Atmosphäre der 'Gegenwart des göttlichen Mysteriums' in den Kirchen verbunden. Auch in den buddhistischen Kirchen Japans erheben sich Stimmen für Erneuerung und Anpassung, z.B. um die alte halbchinesische halbjapanische Gebetssprache durch eine für die Gläubigen verständlichere Sprache zu ersetzen, während man die Hauptstatue(n) als Repräsentant(en) des göttlichen Mysteriums hoffnungsvoll in ihrem symbolischen Halbdunkel belässt. Die Annahme der obigen Position führt automatisch zur Akzeptanz der anderen auf einer Grundlage der Gleichheit und grenzt jedwede Art eines eventuell noch  vorhandenen  Überlegenheitsgefühls auf ein vernünftiges Mass ein.

Seit vielen Jahren ist der interreligiöse Dialog Thema und sogar Aktionsprogramm für viele Religionen. Baha'u'llah, der profetische Gründer der Baha'i-Religionsgemeinschaft im 19. Jahrhundert,  hat, seiner Zeit weit voraus, wahrscheinlich als erster die Notwendigkeit einer Weltregierung als vereinigende Organisation und als einzige reale Lösung zur Verhinderung von Kriegen und sozialer Ungerechtigkeit angekündigt. Die ökumenische Bewegung zwischen der katholischen Kirche und anderen christlichen Kirchen war Thema vieler Konferenzen im Laufe der letzten 50 Jahre. Nach einer langen Periode des Schweigens nach der ersten interreligiösen Weltkonferenz im Jahr 1893, die vom Parlament der Religionen der Welt in Chicago organisiert wurde und auf der Rev. Vivekananda aus Indien einer der beachtetsten Redner war, haben die interreligiösen Versammlungen erst in den letzten 30 Jahren seit dem von der Ghandi-Stiftung für den Frieden 1968 in New Delhi organisierten Internationalen  Interreligiösen Symposium regelmässig stattgefunden.

Man muss wissen, dass die interreligiöse Dialogbewegung bis heute hauptsächlich ein Treffpunkt von religiösen Akademikern und Religionsführern ist, bei Gebetsversammlungen wie den jährlichen Sommer- versammlungen der Buddhistischen Tendai Kirche in Japan und vielen anderen in Europa und den Vereinigten Staaten, bei den klösterlichen Austauschbesuchen zwischen katholischen Mönchen aus Europa und den zen-buddhistischen Mönchen aus Japan, bei den islamisch-christlichen Beratungen, die seit 1984 durch die Zusammenarbeit mit der Al Abeit Stiftung in Amman, Jordanien, jedes Jahr mit verschiedenen europäischen Partnern gehalten werden, und bei den zahlreichen Konferenzen, die von den grossen internationalen interreligiösen Organisationen auf der ganzen Welt durchgeführt werden.  All dies hat sicher zu einem zunehmenden Verständnis anderer Religionen und Kulturen und in jüngster Zeit auch zu einem wachsenden gegenseiErklärung der Richtlinientigen Respekt und einer grösseren Annahme der Werte des jeweils anderen geführt. Daraus hat sich sogar das Bemühen ergeben, kulturelle und religiöse Werte anderer im eigenen Glaubensleben zu integrieren, indem der eigene Glaube neu durchdacht und vertieft wird. Allerdings haben erst im Lauf des(der) letzten Jahrzehnt(s)(e) die technologischen Fortschritte des globalen Kommunikationsnetzes einerseits und die wachsende  Migration einer Vielzahl von Menschen in Länder anderer Kulturen mit dem sich daraus ergebenden Inkulturationsprozess andererseits die erforderlichen Voraussetzungen eines fruchtbaren Bodens für den interreigiösen  Dialog in einem weltweiten Massstab geschaffen.

5) WIR GLAUBEN, dass, als offensichtliche Konsequenz, es notwendig ist, die missionarischen Tätigkeiten und Ziele der Weltreligionen von einem "bekehrenden" zu einem "bezeugenden" Ansatz zu verändern. Dabei sollten die Grundwerte und -elemente des eigenen Glaubens in einer allgemein verständlichen Sprache dargeboten werden, damit der Dialog zwischen den Weltreligionen und Traditionen zu einem besseren gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen sowie zu einem Austausch der gegenseitigen Werte als Bereicherung des eigenen Glaubens und des Glaubens der anderen führen kann.

Die meisten von uns akzeptieren die Existenz einer geistlichen Kraft, eines geistlichen "Wesens", ob  man es nun als Person mit einer Überhöhung  menschlicher Eigenschaften wie Mit-leiden und Liebe betrachtet und daran glaubt oder als schwer zu definierendes "Dharma" oder "Buddhaschaft", zu deren geistlichen Existenz alle menschlichen Wesen und existierenden Dinge als ihrem Ursprung und letzter Bestimmung gehören. Heutzutage wird von den meisten Religionskennern eingestanden, dass jede Weltreligion ihren Ursprung in einer besonderen Kultur hat und dass die Ausdrucksformen der ewigen Wahrheit und der religiösen Rituale jeder Religion Teil dieser Kultur sind. Es ist geschichtliche Tatsache, dass sich die Kultur im Laufe der Jahrhunderte infolge der ständig fortschreitenden Veränderungen im Allgemeinwissen, in der Wissenschaft und in den Lebensweisen wanErklärung der Richtliniendelt. Das Leben war zur Gründerzeit der christlichen, islamischen, buddhistischen und anderer Religionen oder zur Zeit der Veden, Upanishaden und anderer heiligen Schriften Indiens völlig verschieden vom Leben und den Vorstellungen unserer Zeit.

Die Ausdrucksweisen vor 2000 Jahren waren ganz von den Lebensvorstellungen jener Zeit abhängig und deshalb irrigen Deutungen späterer Zeiten ausgesetzt. Dank des Fortschritts der philologischen, archäologischen und anthropologischen Forschung ist es jetzt möglich geworden, die alten Schriften, auf denen die Weltreligionen gegründet worden sind und sich  in ihrem zeitlichen Kontext und ihrer Umwelt entwickelt haben, besser zu verstehen und richtiger zu interpretieren. Diese ehrwürdigen Texte sind daher wegen ihrer lokalen und nicht globalen Ursprünge und Eigenschaften dem Wandel unterworfen und können deshalb nicht als exklusiv, noch als  vollständig und endgültig beansprucht werden. Die ewige Wirklichkeit kann nicht auf eine besondere Kultur oder Religion beschränkt werden, da sie ihrem Wesen nach global und universell sein muss. Die Rückkehr zu den Wurzeln und zum Wesen dieser Lehren , unbehindert durch die Einflüsse früherer Zeiten, sondern bereit anzuerkennen, dass manche Glaubensauffassungen Interpretationen unterzogen werden dürfen , die auf neuen wissenschaftlichen Gründen basieren, wird viele Probleme in praktischen Konsequenzen des Dialogs überwinden helfen.

Aus den verschiedensten Veröffentlichungen und öffentlichen Erklärungen religiöser Autoritäten scheint, dass da noch die verdeckte Absicht besteht, die anderen zum eigenen Glauben zu bekehren. Dies ist offensichtlich in der römischen Sicht der katholischen Kirche und in einigen protestantischen Kirchen, wo Jesus Christus noch von manchen als einziger Erlöser der Menschheit verkündet wird, und zum Teil im Islam noch der Fall. In den christlichen Kirchen kann im Licht der modernen Forschung über die geschichtliche Entwicklung der Lehren des Alten und Neuen Testaments von der Entstehung bis zum gegenwärtigen Stand des christlichen Glaubens der Unfehlbarkeitsanspruch auf den Besitz der ganzen Wahrheit nicht mehr als Dogma aufrechterhalten werden. Das gleiche gilt für das Studium des Koran und für die geschichtliche Entwicklung der islamischen Lehre. Der Buddhismus hat mit  Ausnahme einiger neuer Nachkriegsreligionen in Japan diese Art exklusiver dogmatischer Lehre nicht vorgetragen.

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) hat eine bedeutsame Verhaltensänderung innerhalb der katholischen Kirche angestossen. ,Nostra Aetate', eines der sechzehn Dokumente des Konzils, handelt speziell vom Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen.

Es erklärt: 'Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.'

Dass noch nicht alles in Ordnung ist, wird deutlich, wenn man einem anderen Dokument des gleichen Konzils, nämlich `Ad Gentes`, zuhört, das erklärt: 'Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch' und in dem das Ziel der Mission definiert wird als 'die Evangelisierung und die Einpflanzung der Kirche bei den Völkern und Gemeinschaften, bei denen sie noch nicht Wurzel gefasst hat'. Denn es ist nur 'ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Jesus Christus' und 'in keinem andern ist Heil', woraus der Text schliesst: 'So ist es nötig, dass sich alle zu ihm, der durch die Verkündigung der Kirche erkannt wird, bekehren sowie ihm und seinem Leib, der Kirche, durch die Taufe eingegliedert werden'. Diese Texte von 'Nostra Aetate' und 'Ad Gentes' scheinen und sind in sich widersprüchlich, da man nicht sehen kann, wie sie im praktischen Leben zu vereinen sind. Eine ermutigende Entwicklung ist allerdings in der katholischen Kirche in Gang gekommen, noch nicht an der obersten Spitze, sondern an der Basis und sogar unter den Priestern, Bischöfen und Mönchen, durch die im praktischen religiösen Leben der ziemlich exklusive Text von 'Ad Gentes' vernachlässigt wird und der Text von 'Nostra Aetate' zur allgemeinen Praxis und Einstellung der grossen Mehrheit geworden ist.

Solange es keine wirkliche und öffentliche Absage an dieses jahrhundertealte Dogma von der ein für allemal vollständigen und endgültigen Offenbarung des göttlichen Mysteriums in der Bibel als auch im Koran gibt, scheint ein wirklicher Dialog in gegenseitiger Akzeptanz ziemlich unvorstellbar. Obwohl immer mehr Menschen anerkennen, dass der Ursprung eines Grossteils dessen, was in der westlichen Geschichte falsch gelaufen ist - Inquisition, Kreuzzüge, Kolonisation mit ihrer Verachtung und sogar Zerstörung anderer Kulturen und Kulturgüter, Sklaverei und letztlich, aber nicht am unbedeutendsten,  die Überlegenheitsmentalität des Westens - in diesem Exklusivitätsanspruch zu suchen ist, wird die Absage an diesen Anspruch zweifelsohne noch einige Zeit an geistiger Vorbereitung brauchen. Diese Absage würde mit Sicherheit eines der Haupthindernisse zu einem wirklichen Dialog beseitigen und  Brücke zu einem gegenseitig bereichernden Austausch der Werte des jeweils anderen sein.

Viele befürchten, die Akzeptanz anderer Kulturen innerhalb der eigenen Kulturgrenzen bedeute einen Verlust der eigenen Werte. Diese Furcht kommt hauptsächlich von denen, die keine oder wenig Kenntnis von oder Kontakte mit anderen Kulturen haben. Jeder, der eine andere Sprache kennt, lernt aus Erfahrung, dass die Kenntnis einer anderen Sprache jedes Mal eine wichtige menschliche Bereicherung bringt. Dasselbe kann von jedem Weltreisenden mit einem offenen Geist zu anderen Kulturen gesagt werden. Jede Bekanntschaft mit Leuten und Werten anderer Kulturen bringt eine Bereicherung der eigenen Kulturwerte. Eine Vereinigung und weitere Homogenität der Weltbevölkerung  unter Akzeptierung und Anerkennung der kulturellen Werte anderer kann nur zu einer Bereicherung der eigenen Kultur und der Welt-Kultur im allgemeinen führen.

Dies kann auch auf die religiöse Wahrnehmung angewandt werden. Sobald dem Anspruch auf Besitz der absoluten Wahrheit entsagt wird, hat es überhaupt keinen Sinn mehr, Gläubige anderer Religionen zum eigenen Glauben oder zur Kirche bekehren zu wollen. Da jede Weltreligion ihre eigenen einzigartigen Werte hat, bedeutet das Weitergeben dieser Werte, und zwar nicht zur Bekehrung, sondern zur Vertiefung des Glaubens der anderen, einen wichtigen Bestandteil der gegenseitigen Annäherung. Das kann auch als Konsequenz ein Ende der Rivalität zwischen den Kirchen bedeuten, wobei die individuelle freie Konversion von einer Kirche zur anderen erlaubt ist und voll akzeptiert und verstanden wird.  Im Lauf der Zeit hat jede Weltreligion einen zentralen Kern religiöser Werte entwickelt, die eine ihr eigene Identität ausmachen, mit dem inhärenten Recht, an dieser eigenen Identität, die aber für Wachstum und Verbesserung offen bleiben muss, festzuhalten. Das Akzeptieren und sogar die Übernahme von Werten aus anderen Religionen sollte in jedem Fall eine Bereicherung und Vertiefung des eigenen Glaubens bedeuten. Ein derartiges Annehmen und Erleben dieser Werte und Wahrheiten wird auch zu einem Wachstum in der Erkenntnis und Wahrnehmung des göttlichen Mysteriums, der letzten und ewigen Wahrheit, führen.

Das offensichtliche Ziel jeden interreligiösen Dialogs ist, zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu kommen und, was ich persönlich für das wichtigste halte, zu gemeinsamen Aktivitäten in einer Haltung der Versöhnung, um die Fehler der vergangenen Jahrhunderte zu vermeiden, und mit dem Ziel, zu einer besseren Welt in Frieden, mit einer gerechteren Verteilung der Reichtümer unserer Erde an alle und einer besseren Vorsorge für die Unterprivilegierten unserer Welt zu gelangen. Da es immer deutlicher wird, dass eine Einheit in der Lehre so weit entfernt ist wie je und dass dies auch nicht wirklich das zu erstrebende Ziel sein sollte, müsste das Bemühen um Einheit in der Lehre oder zu einer Kirche oder zu einer Religion umgewandelt werden zu einem Bemühen um Einheit in der Zusammenarbeit, um etwas zusammen zu tun, was sich abhebt  von den Diskussionen über Ähnlichkeiten und Unterschiede in Lehren und Zeremonien. Eine solche Vereinigung in Zusammenarbeit ist nur möglich in der Verschiedenheit und der grösstmöglichen Bewahrung der eigenen Identität in einer Welt, die unvermeidbar immer homogener wird, wobei diese Entwicklungen nicht gegensätzlich, sondern eher zusammenlaufend sind. Dies gilt für Nationen und Länder, deren Grenzen an Bedeutung verlieren oder sogar verschwinden, und auch für Religionen. Es scheint offensichtlich, dass eine solche Einheit nur durch die Zusammenarbeit  miteinander in einem globalen allgemeinen Handlungsfeld realisiert werden kann.

6) WIR GLAUBEN, dass bei der leidenschaftlichen Suche nach der Wahrheit und nach einem umfassenderen spirituellen Ansatz Meditation neu bewertet und als vorzüglicher Weg zu einem tieferen Bewusstsein der göttlichen Anwesenheit universeller praktiziert werden muss. Meditation ist die entscheidende Annäherung an das Göttliche; sie überschreitet die Grenzen  religiöser Kultur und wird auch allgemein geteilt und anerkannt. Stille Meditation sollte Bestandteil jedes interreligiösen Treffens sein.

Die zunehmenden Kontakte in den vergangenen Jahrzehnten mit hinduistischer und buddhistischer Spiritualität und ihren religiösen Meditationspraktiken haben höchstwahrscheinlich einen grossen Teil beigetragen zum neuen Interesse für die verschiedensten spirituellen Praktiken, vom Yoga bis zu Zen-Meditationssitzungen und New Age-Versammlungen und sogar bei vielen Songs und Musiktexten der beliebten Jazz-, Hippy- und sonstigen Song-Festivals.. Während der Westen an aktivere Gebete und  aktive intellektuelle Meditation als religiöse Praktiken gewöhnt war, hat uns der Osten mit seinen anderen Wegen der Annäherung an das unaussprechliche göttlichen Mysterium in seinen heiligen Schriften überrascht. In ihrem Wortschatz gibt es kein umfassendes Wort wie das Wort 'Gott' in den monotheistischen Religionen. Das Göttliche lebt und ist in allem und insbesondere im Selbst eines jeden menschlichen Wesens gegenwärtig. Das 'selbst' beiseite tun, um das wirkliche 'Selbst' zu entdecken, indem man von Gedanken und Wünschen frei wird, indem man sich des 'selbst' entleert, damit das 'Selbst' herrschen kann, ist der Weg buddhistischer und hinduistischer Meditation und Kontemplation gewesen.  Dieser Weg ist vielleicht noch wenigen vorbehalten, aber ihre Zahl nimmt nicht nur unter den Älteren, sondern auch unter den Jungen bermerkenswert zu. Um jeden Tag dieser Art von Meditation etwas Zeit zu widmen, ist es nicht unbedingt nötig, in der Lotus-Haltung zu sitzen, die noch wenigen vorbehalten sein mag.

Meditation kann von jedem praktiziert werden. Es geht  darum, das tägliche Leben in bewusster Aufmerksamkeit für die anderen als Mitglieder der gleichen Familie und für alle Dinge unsrer Umwelt zu leben. Allein diese Aufmerksamkeit hilft uns bereits, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, uns von jedem Stress zu befreien und insbesondere, uns unserer Brüder und Schwestern der einen Erdenfamilie unter dem gleichen Himmel bewusst zu werden.

7) WIR GLAUBEN, dass alle im interreligiösen Dialog engagierten Personen ein beständiges Bewusstsein und eine dauernde Besorgtheit um die zunehmenden ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Probleme unserer Welt stets im Sinn haben müssen.

Die Annahme dieser Richtlinien kann, über die unterschiedlichen Lehren hinaus, ein wichtiger Meilenstein zu einer Einheit in der Zusammenarbeit unter den Weltglaubensgemeinschaften (den Weltreligionen und anderen Glaubenstraditionen) werden. Ein solcher Dialog in Zusammenarbeit mit der politischen Welt würde der wirksamste Beitrag zu effizienteren Lösungen für die Probleme unserer Welt und gleichzeitig ein bedeutsamer Ausgangspunkt für eine neue friedlichere  und gerechtere  Weltordnung für alle sein.
Es ist offensichtlich, daß die Religionen im gegenwärtigen Entwicklungsstadium ihrer Lehren noch nicht reif sind, um zu einer Einheit zu verschmelzen. Die unter den heutigen Umständen von allen Weltglaubens- gemeinschften anzustrebende Einheit ist nur in der Zusammenarbeit möglich. Alle Glaubens- gemeinschaften sind mehr oder weniger um das Wohlbefinden aller Menschen als Individuen und auch als globaler Gemeinschaft besorgt. Die gemeinsame Suche nach Lösungen für die dringenden und zunehmenden Probleme der Menschheit, wie Armut, Kriege, Waffenproduktion, -handel und -besitz, ungerechte Verteilung der Reichtümer der Erde usw., müsste ein vorrangiges Ziel der Zusammenarbeit zwischen den Religionen dieser Welt sein. Nur mit diesem klaren Ziel im Sinn, losgelöst von den lehrmässigen und anderen Unterschieden, kann eine Einheit in der Zusammenarbeit  erreicht werden.

Von den Medien und dem allgemeinen Interesse der Öffentlichkeit auf der Suche nach einer neuen moralischen Grundlage in einer Welt des allzu schnellen Wandels auf dem Weg zu einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft ist ein wachsendes Interesse für religiöse Angelegenheiten sichtbar, sogar von der politischen Welt, die Ausschau zu halten beginnt nach einer  engeren Zusammenarbeitarbeit mit der religiösen Welt in der Suche nach Lösungen für unsere Weltprobleme. Das bietet allen Glaubensgemeinschaften eine aussergewöhnliche, in der Weltgeschichte einzigartige Gelegenheit, wegweisender Leuchtturm zu werden und der gesamten Welt allgemein akzeptierte moralische Regeln von einer einmütigen, einstimmigen Autorität einer Weltorganisation, wie die oben genannten Vereinten Religionen oder Vereinten  Traditionen zu verkünden.

Wenn die im interreligiösen Dialog und im Dialog für den Frieden tätigen Organisationen wirklich glauben, was sie glauben, dann wäre der direkteste und effizienteste Weg zur Realisierung eines einstimmigen Weltforums der Weltglaubensgemeinschaften, wie es die Initiative der Vereinten Religionen beabsichtigt, daß die wichtigsten Interfaith- und Friedensorganisationen, wie das Parlament der Religionen der Welt (PWR), die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP), der Kongress der Weltreligionen (CWF), der Internationale Verband für Religion und Friede (IARF) und vielleicht noch andere, ihre eigenen Interessen zurückstellen und ihre Kräfte mit der Initiative der Vereinten Religionen in einer Art föderalen Zusammenschluss unter einer Flagge vereinen, um eine derartige globale Weltorganisation zu schaffen, deren passendster Name augenfällig Organisation der Vereinten Religionen wäre, als würdigen Kooperationspartner der Vereinten Nationen. Dies wäre durch die Welt widerhallender Ausdruck eines  wahrhaft menschlichen Geistes gegenseitiger Liebe und Zuneigung und Ausdruck auch des japanischen und östlichen Geistes der Harmonie und des Selbstvergessens für das allgemeine Wohl.

Die 1993 vom Theologen Hans Küng (Deutschland) vorgelegte 'Globale Ethik', die 'Allgemeine  Erklärung der Menschlichen Verpflichtungen' (Japan) aus dem Jahr 1997, der 'Wendepunkt für alle Nationen', ein Dokument der Baha'i Gemeinschaft im Jahr 1995, und schliesslich, aber nicht am unwichtigsten, das Dokument des Dalai Lama aus dem Jahr 1992 'Die globale Gemeinschaft und die Notwendigkeit einer universellen Verantwortung' sind sicher alle geeignete  Ergänzungen zur 'Erklärung der Menschenrechte'. Sie könnten und müssten für die Weltglaubensgemeinschaften die Grundlage für ihren wirksamen Beitrag zu einer neuen Weltordnung werden, in welcher Mann / Frau in ihren sozialen und spirituellen Dimensionen im Mittelpunkt stehen.

* * * * * * *
Originaltext 1994      
Letzte Bearbeitung : Februar 2003

Lucien F. Cosijns, Pr.Poppestr. 44, Mortsel, Belgium
Tel. 32(0)3-455-6880   
Fax : 32(0)2-706-5883   
E-mail : lucien.cosijns@telenet.be
Website:http://www.interfaithdialoguebasics.be

Buddhismus, Baha'i, Einheimische Traditionen, Christentum, Hinduismus, Islam,
Jainismus, Judentum, Shintō, Zoroastrianismus, Taoismus, Sikhismus.

.
.
.
.


 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü